Martin Luther erläutert Fürst Georg III. von Anhalt seine Vorstellungen über die künftige Verwendung der Bistümer, Stifte und Klöster

Signatur:
LASA, Z 8, Nr. 436
Seitenangabe:
1r-2v
Datierung:
26. Oktober 1538
Orte:
Wittenberg
Wittenberg
Dessau
Wichtige Personen:
Luther, Martin (* 1483 † 1546)
Georg <Anhalt, Fürst, III.> (* 1507-08-15 † 1558-10-17)
Bearbeiter:
Rothe, Vicky
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Historische Einordnung:
Mit der Einführung der Reformation erfuhr die Kirchenorganisation eine völlige Neuordnung. Nicht nur neue Behörden, wie beispielsweise Konsistorien, wurden eingerichtet, alte Institutionen wie die Klöster verloren ihre Bedeutung, weshalb sie aufgelöst werden sollten. Die Frage, was nun mit dem aufgelösten Kirchen- und Klostergut geschehen sollte, stellte sich damit in allen evangelisch gewordenen Reichsständen.
Fürst Georg III. von Anhalt (1507-1553), der seit 1530 als Mitregent im Fürstentum Anhalt-Dessau fungierte, führte zusammen mit seinen Brüdern die Reformation in Anhalt von 1532 bis 1534 ein. Die anhaltinischen Fürsten wandten sich dabei frühzeitig der reformatorischen Bewegung zu, in der Stadt Zerbst etwa fasste die Reformation bereits 1524 Fuß. 1536 traten sie dem Schmalkaldischen Bund, dem Schutzbündnis der evangelischen Reichsstände, bei. Als Mitglied des Bundes wurden sie mit der Kirchengüterfrage auf dessen Tagungen wiederholt konfrontiert. Auch im Hinblick auf die Erarbeitung einer eigenen Kirchenordnung für den Dessauer Teil wandte sich Georg von Anhalt an Martin Luther, mit der Bitte seine Position im Umgang mit den Kirchengütern vorzutragen.
Luther besaß die Vorstellung, dass das kirchliche Vermögen in erster Linie für die neue evangelische Kirche und deren Aufgaben selbst gebraucht werden sollte. Sofern noch Gelder übrig waren, sollten diese „zum gemeinen weltlichen Nutzen“ dienen, wie z. B. den fürstlichen Finanzen. Dafür wurden in den angesetzten Landesvisitationen die Klosterbestände gesichtet, die verlassenen Klöster mit sofortiger Wirkung aufgelöst und diejenigen Klöstern, wo sich nur noch einzelne Mönche und Nonnen befanden, mit anderen Klöstern zusammengefasst. Neuaufnahmen von Klosterangehörigen sollte vermieden werden, hingegen sollten die noch vorhandenen Ordensleute zum Austritt ermutigt werden und dafür eine Abfindung erhalten; falls diese aber im Kloster verbleiben wollten, sollten diese bis zu ihrem Tod bleiben dürfen und versorgt werden. Diese Aufgabe der Sequestration, also der Einziehung und der anschließenden Verwaltung des Kirchengutes, sollte durch den Landesherren geschehen. Zu diesem Zweck wurden Klostervorsteher eingesetzt.
Hinter diesem Vorgehen stand die Sorge, wie man das neue Kirchenwesen überhaupt finanzieren konnte. Mit der Glaubensänderung war die materielle Versorgung der Geistlichen unsicher geworden, weil z. B. Spenden und Gebühren wegbrachen. Die frei werdenden Gelder waren deshalb zunächst dafür bestimmt, die Besoldung der Kirchen- und Schuldiener vorzunehmen und die Finanzierung von Superintendenten, die über das kirchliche Personal Aufsicht führen sollten, sicherzustellen. Anschließend waren die Gelder für den Aufbau eines effektiven Bildungswesens zu verwenden, da es an geeigneten Personen zur Seelsorge überall mangelte. Mit den Schulen sollten aber auch die Jungen und Mädchen zu guten christlichen Menschen im Sinne der neuen evangelischen Kirche und der Obrigkeit erzogen werden (Sozialdisziplinierung). Darüber hinaus sollten die ehemaligen Klostergüter und -ländereien verpachtet werden oder anderweitige Nutzungen erfahren, indem die Gebäude als Wohnungen oder Schulen Verwendung fanden. Diesen Vorgang nannte man auch Säkularisation. Ziel der Umverteilung und Neudefinition von Klostergut war es, einen organisierten Ausbau der Landeskirche zu ermöglichen.
Der Zugriff auf die Klöster und deren Einnahmen und Besitz war aber keineswegs nur eine Frage der evangelischen Stände. In der Beschreibung Luthers spielt dieser auf die Verhältnisse unter Herzog Georg im albertinischen Sachsen an. In Georgs Klostervisitationen bis 1539 zeigte sich offenkundig, dass auch die altgläubigen Landesherren ein Interesse an der Umgestaltung der Klosterlandschaft hatten, freilich geprägt durch einen Reformwillen, der die alten kirchlichen Strukturen erhalten und verbessern sollte.
Die Neuordnung des Kirchengutes war damit auch ein Ausdruck eines entstehenden frühneuzeitlichen Staats, der kirchliche Angelegenheiten und Entscheidungen systematisch an sich zog und in diese aktiv eingriff.
Literatur:
Michael Beyer, Die Neuordnung des Kirchengutes, in: Helmar Junghans (Hrsg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen. 2. Aufl. Leipzig 2005, 93-114.
Günther Wartenberg, Der Umgang mit Klostergut im mitteldeutschen Raum im 16. Jahrhundert, in: Winfried Müller (Hrsg.), Reform – Sequestration – Säkularisation. Die Niederlassungen der Augustiner-Chorherren im Zeitalter der Reformation und am Ende des Alten Reiches. (Publikationen der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim Bd. 6) Paring 2005, 9-24.
Eike Wolgast, Die Einführung der Reformation und das Schicksal der Klöster im Reich und in Europa. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte Bd. 89) Heidelberg 2014.
Nachweis früherer Editionen:
Ernst Ludwig Enders (Hrsg.), Dr. Martin Luther‘s Briefwechsel, Bd. 12: Briefe vom September 1538 bis Februar 1540. Leipzig 1940, 21. [vollständig]
Johann Konrad Irmischer (Hrsg.), Dr. Martin Luther’s vermischte deutsche Schriften. Nach den ältesten Ausgaben kritisch und historisch bearbeitet, I. Deutsche Briefe: Bd. 4 Nebst den geistlichen Liedern (Dr. Martin Luther’s sämmtliche Werke, Bd. 56). Frankfurt a. M./Erlangen 1854, 216–218. [vollständig]
Heinrich Lindner (Hrsg.), Luther‘s Briefe an die Fürsten von Anhalt. Dessau 1830, 51–53. [vollständig, falsche Datumsauflösung]
Johann Karl Seidemann/Wilhelm Martin Leberecht de Wette (Hrsg.), Dr. Martin Luthers Briefe, Sendschreiben und Bedenken: vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet, Bd. 6. Berlin 1856, 209–211 [vollständig]
Johann Georg Walch (Hrsg.), Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, Bd. 21, Teil 2: Dr. Luthers Briefe nebst den wichtigsten Briefen, die an ihn gerichtet sind, und einigen anderen einschlagenden interessanten Schriftstücken. Briefe vom Jahre 1533 bis 1546. Nachlese. Nachtrag zu den Briefen vom April 1531 bis zum Juli 1536, aufs Neue herausgegeben im Auftrag des Ministeriums der deutschen ev. luth. Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten. St. Louis 1904, 2273–2275. [vollständig]
D. Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, Briefwechsel Bd. 8 (Briefe 1537–1539). Weimar 1938, Nr. 3266, 304–307. [vollständig]
Bemerkung:
Orig.; 2 Blätter, Papier, 21,3 x 33,2 cm, beidseitig beschrieben, Brief; Rückseite: Adresse und Verschlusssiegel des Ausstellers sowie nachträgliche Anmerkung zum Inhalt; Eigenhändige Ausfertigung