Kardinal Albrecht von Brandenburg weist seinen Hofmeister Graf Botho von Stolberg sowie seine anderen Räte an, Maßnahmen gegen die Verbreitung der Lehren Luthers zu ergreifen, die er als „giftigen irrthumb“ bezeichnet

Signatur:
LASA, A 2, Nr. 498a
Seitenangabe:
8r-9v
Datierung:
13. Dezember 1517
Orte:
Aschaffenburg
Wittenberg
Mainz
Aschaffenburg
Wichtige Personen:
Tetzel, Johannes (* 1460 † 1519)
Luther, Martin (* 1483 † 1546)
Albrecht <Mainz, Erzbischof, Kurfürst, Kardinal, II.> (* 1490 † 1545)
Bearbeiter:
Rothe, Vicky
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Historische Einordnung:
Im November 1517 erhielt Kardinal Albrecht von Brandenburg einen Brief eines „vermessen monichs zcu Wittenberg“, welcher den Ablass und das Ablasswesen im Allgemeinen kritisierte. Dieser Mönch war kein geringerer als Martin Luther. Zusätzlich fügte Luther – und dies ist entscheidend – zu diesem Brief seine 95 Thesen bei. Diese waren Albrecht ein besonderer Dorn im Auge, stifteten sie doch seiner Ansicht nach Unruhe im Volk. Doch wie war es überhaupt zu diesem Konflikt gekommen?
Alles begann 1513 mit der Amtserhebung Albrechts zum Erzbischof von Magdeburg sowie zum Administrator des Bistums Halberstadt und der nur ein Jahr darauf folgenden Ernennung zum Erzbischof von Mainz. Mit letzterem wurde Albrecht nämlich zugleich Kurfürst und Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches und stieg so zu einem der mächtigsten Männer des Reiches auf. Diese Ämterpolitik war kirchenrechtlich ein Problem. Nicht nur, dass Albrecht das vorgeschriebene Alter für die Bischofsweihe nicht erfüllte, eine doppelte Ämterbesetzung war eigentlich nicht erlaubt. Lediglich mit einer päpstlichen Dispens, also einer Befreiung einer kirchenrechtlichen Vorschrift, war dies möglich. Diese kostete allerdings ca. 30.000 Gulden. Um eine so hohe Summe an den Papst zahlen zu können, schloss Albrecht 1514 mit dem Finanzhaus von Jakob Fugger einen Schuldvertrag ab. Zur Rückzahlung des Kredites übernahm Albrecht als Kommissar den Vertrieb des von Papst Leo X. verkündeten St.-Peter-Ablasses in seinen Kirchenprovinzen und weiteren Teilen des Reichs. Die eine Hälfte des eingenommenen Betrages floss direkt nach Rom an den Papst, die andere konnte Albrecht zur Tilgung seiner Schulden bei den Fuggern verwenden. Zum Subkommissar und damit zum eigentlichen Organisator des Ablassgeschäftes ernannte er den Leipziger Dominikaner Johann Tetzel (um 1465-1519). Seit Anfang des Jahres 1517 begann dieser mit der Verkündung des Ablasses, erregte aber durch seinen marktschreierischen Vertrieb – verwiesen sei auf den berühmte Ausspruch „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!“ – schnell Aufmerksamkeit. Das Besondere des Petersablasses war sein Umfang. Gegenüber der spätmittelalterlichen Ablasspraxis, die nur bestimmte Sündenstrafen durch Geldzahlungen erließ und zusätzlich konkrete Bußleistungen (Gebet, Wallfahrt usw.) zur Bedingung machte, wirkte der neue Plenarablass inflationär. Nunmehr wurde ein vollkommener Sündenerlass versprochen und als Leistung des Gläubigen allein die Geldzahlung in den Mittelpunkt gerückt. Zudem sollte der neue Ablass auch für die bereits Verstorbenen gelten. Diese Verselbstständigung und die offensichtliche Ausrichtung des Ablasshandels auf die Bedürfnisse der kirchlichen Finanzierung und der Steuerleistungen nach Rom ließen in Deutschland zunehmend kritische Stimmen laut werden.
In dieser Situation trat Martin Luther auf den Plan. In Wittenberg selbst wurde der Vertrieb des Petersablasses durch Kurfürst Friedrich den Weisen untersagt, die Bürger jedoch strömten in die benachbarten Territorien nach Jüterbog und Zerbst, um so das Verbot zu umgehen und doch an den heilsversprechenden Ablass zu gelangen. Luther sah darin ein großes Problem und wendete sich in seinen Predigten gegen diese Frömmigkeitspraxis. Als seine Bemühungen ohne Erfolg blieben, richtete er einen Brief am 31. Oktober 1517 an Albrecht von Brandenburg, da dieser als Ablasskommissar und kirchlicher Oberhirte in Luthers Augen zuständig war. In seinem Schreiben bat Luther um eine Korrektur der Missstände und nahm dabei auf die allgemein vorbreitete Ablasskritik Bezug.
Albrechts Reaktion erfolgte nur langsam. Erst am 13. Dezember 1517 teilte er seine Antwort seinen Räten in Halle mit. Luther selbst blieb er eine Antwort schuldig. Albrecht sah sich zwar nicht in seiner Person angegriffen, jedoch sollten diese vermessenen Thesen durch seinen Theologen an der Mainzer Universität beurteilt und geprüft werden. Auch dem Papst unterrichtete Albrecht über die Vorgänge in Wittenberg, in der Hoffnung der Papst selbst würde gegen Luther vorgehen, wie es später auch geschah. Einen direkten Konflikt mit dem Augustineremitenorden wollte Albrecht vermeiden. Dennoch belegt das Dokument, dass Albrecht ein eigenes Verbotsverfahren gegen Luther erwogen hat, um diesen zurechtzuweisen und das, was er als „giftigen irthumb“ ansah, nicht weiter im Volk um sich greifen zu lassen.
Darüber hinaus ist an dem Schreiben Albrechts interessant, dass er selbst die Ablasspraxis Tetzels kritisierte. Allerdings bezog sich seine Verärgerung auf dessen verschwenderisches Vorgehen. Mit 80 Gulden im Monat erhielt Tetzel ein überaus großzügiges Honorar, das dem Jahresgehalt eines gut bezahlten Pfarrers entsprach. Die angeforderte Rechnung über Kost, Knechte, Unterkommissare ergab mehr als 300 Gulden. Diesen „Pomp“ sollte sich Tetzel nicht weiter leisten, um den finanziellen Ertrag des Ablasses nicht zu verringern. Auch sollten die Missstände der Unterkommissare, die sich in Nachlässigkeiten, in ihrem ungeschickten Verhalten bei Predigten oder gar in der eigenen Bereicherung am Ablasshandel ausdrückten, beseitigt werden.
Insgesamt wurde mit diesem vorliegenden Brief und der in Kenntnissetzung des Papstes über Luthers Thesen eine folgenschwere Entwicklung in Gang gesetzt. Die anfänglich rein theologische Diskussion über den Ablass breitete sich wie ein Lauffeuer über alle gesellschaftlichen Ebenen aus, erfasste und veränderte sie grundlegend.
Übersetzung:
Cardinal Albert of Brandenburg instructs his chamberlain, Count Bodo of Stolberg, and his other counsels to take action against the spread of Luther’s teachings, which he describes as a “giftigen irrthumb” (“toxic fallacy”). Aschaffenburg, December 13, 1517

In November 1517, Cardinal Albert of Brandenburg received a letter from a vermessen monichs zcu Wittenberg (“impudent monk from Wittenberg”), who criticized indulgences and the practice of indulgences in general. This monk was none other than Martin Luther. Luther also added - and this is crucial - his 95 theses to this letter. Albert considered these a particular thorn in his side as, in his view, they caused turmoil among the populace. But how did this conflict ever come about?
It all began in 1513 with the inauguration of Albert as archbishop of Magdeburg and administrator of the diocese of Halberstadt and his subsequent appointment as archbishop of Mainz just one year later. With the latter appointment, Albert became both elector and archchancellor of the Holy Roman Empire, making him one of the most powerful men in the empire. This policy of awarding multiple offices was a canonical problem. Not only had Albert not attained the required age for episcopal consecration but it was actually not permissible to hold two offices at once. This was only possible with a papal dispensation, i.e. an exemption from canon law. These cost about 30,000 guilders, however. In order to be able to pay such a large sum to the Pope, Albert concluded a debt contract with the financial institution of Jakob Fugger in 1514. To repay the loan, Albert took over the sale of the St. Peter’s indulgence, proclaimed by Pope Leo X., in his ecclesiastical provinces and other parts of the empire as commissioner. One half of the fees collected was sent directly to the Pope in Rome, while the other could be used by Albert to repay his debt to the Fuggers. He appointed the Leipzig Dominican Johann Tetzel (around 1465-1519) as subcommissioner and thus the actual organizer of the sale of indulgences. Tetzel began promulgating the indulgence in early 1517, but quickly attracted a great deal of attention by virtue of his blatant advertising – please note the famous saying “Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!” (“Soon as the coin in the chest doth ring, the soul will into heaven spring.”) The distinguishing characteristic of the St. Peter’s indulgence was its scope. Compared to the late medieval practice of selling indulgences, which only absolved certain sins when the appropriate amount was paid and required additional penance (prayer, pilgrimage, etc.), the new plenary indulgence went much further. Now, complete absolution was promised and the payment of money came to be the only obligation required of believers. In addition, the new indulgence could also be applied to those already deceased. These new options and the obvious orientation of the indulgence trade towards the church’s financial requirements and tax payments to Rome resulted in increasing criticism in Germany.
It was at this point that Martin Luther came on the scene. In Wittenberg, the distribution of the St. Peter’s indulgence was prohibited by Elector Frederick the Wise, but the citizens flocked to the neighboring territories of Jüterbog and Zerbst so as to circumvent the prohibition and obtain the indulgence with its promise of redemption, after all. Luther perceived this as a serious problem and opposed the pious practice in his sermons. When his efforts proved unsuccessful, he addressed a letter dated October 31, 1517 to Albert of Brandenburg, since, as indulgence commissioner and spiritual leader, he was responsible with regard to this matter in Luther’s eyes. In his letter, Luther asked for his grievances to be addressed and referred to the widespread criticism of indulgences.
Albert was slow to respond. It wasn’t until December 13, 1517 that he announced his response to his counselors in Halle. Luther himself never received an answer. While Albert did not perceive them as an attack on himself, he wanted to have these impudent theses examined and assessed by his theologians at the University of Mainz. Albert also informed the Pope about the events in Wittenberg, hoping the Pope himself would initiate proceedings against Luther, as was later the case. Albert wanted to avoid direct conflict with the Augustinian Hermits. Nevertheless, the document proves that Albert considered initiating his own prohibition proceedings against Luther in order to rebuke him and to prevent what he regarded as giftigen irthumb (“toxic fallacy”) from running rampant among the people.
What is also interesting about Albert’s letter is that he even criticized Tetzel’s practice of selling indulgences. However, his anger was directed at Tetzel’s wasteful methods. At 80 guilders a month, Tetzel received a very generous fee, which was comparable with the annual salary of a well-paid pastor. The invoice requested of Tetzel detailing food and board and pay for servants and subcommissioners amounted to over 300 guilders. In order to avoid reducing the final return on the sale of the indulgence, Tetzel was not to continue to indulge in such pomp. The grievances leveled at the subcommissioners, which found expression in negligence and in their clumsy behavior during sermons or even in their own personal gain through the indulgence trade, were also to be addressed.
In general, the present letter and the notification of the Pope of Luther’s theses set in motion a momentous chain of events. The initially purely theological discussion about the indulgence spread like wildfire across all levels of society, seizing and changing them radically.
Literatur:
Martin Brecht, Martin Luther. Erster Band: Sein Weg zur Reformation 1483-1521. Stuttgart 1981.
Friedhelm Jürgensmeier, Kardinal Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Kurfürst, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, Administrator von Halberstadt, in: Berthold Roland (Hrsg.), Albrecht von Brandenburg. Kurfürst, Erzkanzler, Kardinal (1490-1545). Zum 500. Geburtstag eines deutschen Renaissancefürsten; Landesmuseum Mainz, 26. Juni 1990 bis 26. August 1990. Mainz 1990, 22–41.
Bernhard Lohse, Albrecht von Brandenburg und Luther, in: Friedhelm Jürgensmeier (Hrsg.), Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490-1545). Ein Kirchen- und Reichsfürst der Frühen Neuzeit (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 3). Frankfurt a. M. 1991, 73–83.
Thomas Kaufmann, Der Anfang der Reformation. Studien zur Kontextualität der Theologie, Publizistik und Inszenierung Luthers und der reformatorischen Bewegung. Tübingen 2012.
Franz Schrader, Kardinal Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Magdeburg, im Spannungsfeld zwischen alter und neuer Kirche, in: Remigius Bäumer (Hrsg.), Von Konstanz nach Trient. Beiträge zur Geschichte der Kirche von den Reformkonzilien bis zum Tridentinum. Wien 1972, 419–445.
Reinhard Schwarz, Luther. 4. Aufl. Göttingen 2014.
Nachweis früherer Editionen:
Heinrich August Erhard, Überlieferungen zur vaterländischen Geschichte alter und neuer Zeiten Heft 3. Magdeburg 1828, 22–25. [vollständig abgedruckt, veränderte Orthographie]
Friedrich Wilhelm Hoffmann’s Geschichte der Stadt Magdeburg, neu bearbeitet von Gustav Hertel und Friedrich Hülße, 1. Bd. Magdeburg 1885, 314–316. [vollständig abgedruckt]
Ruth Kastner (Hrsg.), Quellen zur Reformation 1517-1555. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit Bd. 16) Darmstadt 1994, 39 f. [Auszug]
Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hrsg.), Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521), 1. Teil: Das Gutachten des Prierias und weitere Schriften gegen Luthers Ablaßthesen (1517-1518). Münster 1988, 305–309. [vollständig abgedruckt]
Bemerkung:
beidseitig beschrieben, Brief; Rückseite: Adresse; ohne Verschlusssiegel des Ausstellers; Eigenhändige Ausfertigung