Niederschrift über die Unterredung mit Philipp Melanchthon über die Gründung einer neuen Universität (in Jena).

Signatur:
ThHStAW, EGA, Reg. O 553
Seitenangabe:
19r-26v
Datierung:
10.7.1547
Orte:
Weimar
Weimar
Jena
Wittenberg
Wichtige Personen:
Melanchthon, Philipp (* 1497-02-16 † 1560-04-19)
Johann Friedrich <Sachsen, Kurfürst, I.> (* 1503 † 1554)
Johann Friedrich <Sachsen, Herzog, II.> (* 1529 † 1595)
Johann Wilhelm <Sachsen-Weimar, Herzog> (* 1530-03-11 † 1573-03-02)
Moritz <Sachsen, Kurfürst> (* 1521-03-21 † 1553-07-11)
Friedrich <Sachsen, Kurfürst, III.> (* 1463 † 1525)
Karl <Heiliges Römisches Reich, Kaiser, V.> (* 1500-02-24 † 1558-09-21)
Bearbeiter:
Gleiß, Friedhelm
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Historische Einordnung:
Die Gründung der ernestinischen Hochschule in Jena (1548) erfolgte im Kontext einer existenzbedrohlichen Situation für die Protestanten im Heiligen Römischen Reich und am Tiefpunkt der Macht der Ernestiner. Im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) besiegte Kaiser Karl V. den Schmalkaldischen Bund, ein Bündnis protestantischer Fürsten und Reichsstädte, an deren Spitze der ernestinische Kurfürst Johann Friedrich der Ältere von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen standen. Obwohl der albertinische Herzog Moritz von Sachsen ein Protestant war, hatte er Karl V. in diesem Krieg militärisch unterstützt. Dafür erhielt er die Kurwürde und einen großen Teil des Herrschaftsgebiets von seinem ernestinischen Vetter Johann Friedrich. Damit verbunden war für die Ernestiner auch der Verlust der Universität Wittenberg, der bisher meistbesuchten und einflussreichsten evangelischen Universität im Reich und des Zentrums der reformatorischen Theologie.

Schon bald nach dem Schmalkaldischen Krieg wurden erste Überlegungen und Beratungen zur Gründung einer neuen ernestinischen Hochschule angestellt. Schwierigkeiten bei der Universitätsgründung bereiteten die beschränkten finanziellen Mittel des besiegten und stark verkleinerten ernestinischen Territoriums und die unsichere kirchenpolitische Gesamtlage. Beide Punkte werden auch im hier vorliegenden Gutachten (Juli 1547) von Philipp Melanchthon, der als Berater wesentlich an der Neugründung beteiligt war, angesprochen. Insbesondere von Seiten Moritz’ von Sachsen und Karls V. sah er Gefahren. Melanchthon warnte die Ernestiner deshalb eindringlich vor eigenmächtigem und überstürztem Handeln, um ihre ohnehin schon geschwächte Lage nicht noch weiter zu gefährden – auch um die Chancen auf eine Freilassung des in kaiserlicher Gefangenschaft befindlichen Johann Friedrich nicht zu verschlechtern.
Wie Melanchthon schon im vorliegenden Dokument befürchtete, strebte der Kaiser später mit dem Religionsgesetz des „Augsburger Interims“ (1548) eine Rekatholisierung der protestantischen Territorien und Städte an. Die endgültige Entscheidung der Religionsangelegenheiten wurde einem allgemeinen Konzil vorbehalten, das jedoch letztlich nie zustande kam, weil die Protestanten seine Autorität bestritten. Im Gegensatz zur kompromisslosen Ablehnung des Augsburger Interims u. a. durch die Ernestiner zeigten der Albertiner Moritz und die Wittenberger und Leipziger Theologen um Melanchthon im Leipziger Alternativvorschlag zum Augsburger Interim („Leipziger Interim“) Entgegenkommen gegenüber dem Kaiser bei der Wiederherstellung der vorreformatorischen kirchlichen Zeremonien – in der Hoffnung auf eine baldige Veränderung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Protestanten. Von ihren Gegnern wurde ihnen Verrat an der evangelischen Sache vorgeworfen. So kam es zu jahrzehntelangen heftigen Lehrkontroversen zwischen Melanchthon und seinen Anhängern („Philippisten“) und in der strengen Nachfolge Luthers stehenden Theologen wie Matthias Flacius Illyricus und Nikolaus von Amsdorf („Gnesiolutheraner“). Die ernestinischen Herzöge standen dabei meist auf Seiten der „Gnesiolutheraner“ und sahen ihre neugegründete Universität Jena als letzten Hort des wahren Glaubens und der reinen Lehre. Trotz der Konkurrenz zwischen den Universitäten Wittenberg und Jena, die auch durch die Rivalität zwischen den Ernestinern und Albertinern verstärkt wurde, lehnte sich die Hohe Schule Jena u. a. in der Studienkonzeption und Organisation zunächst eng an Wittenberg an.

Wie von Melanchthon im vorliegenden Gutachten empfohlen, gründeten die Ernestiner in Jena zunächst nur eine kleine Hochschule (März 1548). Die Gründungsprofessoren der zunächst nur aus einer Philosophischen und Theologischen Fakultät bestehenden Hochschule waren die Melanchthonschüler Victorin Strigel und Johann Stigel. Melanchthon selbst und andere für Jena angefragte bedeutende Wittenberger Professoren blieben lieber in Wittenberg, nachdem ihnen spätestens im September 1547 vom neuen sächsischen Kurfürst Moritz die Wiedereröffnung der Wittenberger – infolge des Schmalkaldischen Kriegs geschlossenen – Universität zugesichert wurde. Bereits seit 1554 wurden in Jena auch Professoren für die Juristische und Medizinische Fakultät berufen. Nach der kaiserlichen Anerkennung (1557) wurde die Universität Jena 1558 feierlich eröffnet. Eine wesentliche Voraussetzung dafür war der Augsburger Religionsfrieden von 1555, durch den die protestantischen Reichsstände reichsrechtlich anerkannt wurden. Die Gefahr der Rekatholisierung war damit gebannt.
Literatur:
Matthias Asche, Jena als Typus einer protestantischen Universitätsgründung im Zeichen des Humanismus, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 63, 2009, S. 117-142.
Joachim Bauer, Von der Gründung einer Hohen Schule in „elenden und betrübten Zeiten“, in: Joachim Bauer/Dagmar Blaha/Helmut G. Walther (Hrsg.), Dokumente zur Frühgeschichte der Universität Jena 1548 bis 1558. (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena. Bd. 3/I.) Jena 2003, S. 31-88.
Daniel Gehrt/Joachim Bauer/Andreas Klinger/Georg Schmidt, Gründung, Aufbau und Konsolidierung im 16. Jahrhundert, in: Joachim Bauer/Andreas Klinger/Alexander Schmidt/Georg Schmidt (Hrsg.), Die Universität Jena in der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2008, S. 25-45.
Herbert von Hintzenstern, Melanchthon und die Universität Jena. Die Wankelmütigkeit des Magisters Philippus und ihre Folgen, in: Karl Brinkel/Herbert von Hintzenstern [Hrsg.], Des Herren Name steht uns bei. Luthers Freunde und Schüler in Thüringen. Bd. 1. Berlin [1961], S. 132-146, hier S. 135-138 (Übertragung ins heutige Deutsch).
Friedrich Schneider, Melanchthons Entscheidung nach der Katastrophe von Mühlberg (24. April 1547) zwischen der neu zu gründenden Universität Jena und seiner langjährigen akademischen Wirkungsstätte in Wittenberg, in: 450 Jahre Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Bd. 1: Wittenberg 1502-1817. Halle [1952], S. 313-322.
Walther, Helmut G., Von Leipzig nach Jena (1409-1548). Tradition und Wandel der drei wettinischen Universitäten, in: Volker Leppin (Hrsg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst. Gütersloh 2006, S. 129-153.
Nachweis früherer Editionen:
August Beck, Johann Friedrich der Mittlere, Herzog zu Sachsen. Ein Beitrag zur Geschichte des sechszehnten Jahrhunderts. 2 Bde. Weimar 1858, hier Bd. 2, Nr. 9, S. 200-203.
Philippi Melanchthonis epistolae, iudicia, consilia, testimonia aliorumque ad eum epistolae quae in Corpore Reformatorum desiderantur. Undique ex manuscriptis et libris editis collegit et secundum seriem annorum dierumque disposuit Henricus Ernestus Bindseil. Halis Saxonum 1874, Nr. 558, S. 541-544.
Dagmar Blaha, Dokumente zur Gründungsgeschichte der Hohen Schule in Jena, in: Joachim Bauer/Dagmar Blaha/Helmut G. Walther (Hrsg.), Dokumente zur Frühgeschichte der Universität Jena 1548 bis 1558. (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Jena. Bd. 3/1.) Jena 2003, S. 89-168, hier S. 98-103.
Melanchthons Briefwechsel. Bd. 5: Regesten 4530-5707 (1547-1549). Bearb. v. Heinz Scheible unter Mitwirk. v. Walter Thüringer. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, Nr. 4800, S. 137f. (Regest; der Textband mit der Edition (T 16/2) wird voraussichtlich im Jahr 2016 erscheinen).
[Franz Xaver von] Wegele, Zwei ungedruckte Actenstücke zur Geschichte der Universität Jena, in: Zeitschrift des Vereins für thüringische Geschichte und Alterthumskunde 2, 1857, S. 181-192, hier S. 185-189.
Bemerkung:
Reinschrift, Schreiberhand mit eigenhändigen Einfügungen; Seitenzählung und Datierung von Philipp Melanchthon