Verhör von Täufern durch Melanchthon

Signatur:
ThHStAW, EGA, Reg. N 1009
Seitenangabe:
22r-26r
Datierung:
6.12. bzw. 7.12.1535
Orte:
Jena
Jena
Kleineutersdorf
Sangerhausen
Wichtige Personen:
Cruciger, Caspar (* 1504 † 1548)
Musa, Anton (* 1480 † 1547)
Melanchthon, Philipp (* 1497-02-16 † 1560-04-19)
Kraut, Heinz (* 1536)
Möller, Jobst (* 1536)
Peißker, Hans (* 1536)
Petzsch, Lorenz
Bearbeiter:
Gleiß, Friedhelm
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Verweis auf andere Quellen:
Todesurteil über die drei Täufer Heinz Kraut, Jobst Möller und Hans Peißker (26.1.1536): vorliegende Akte, Bl. 38 (Kopie) (Edition: Wappler, Nr. 53p, S. 410)
Historische Einordnung:
Die „Täufer“ waren eine wichtige Strömung innerhalb der Reformation, die bis heute etwa in den Mennoniten und Amish fortlebt. Auch einige Freikirchen praktizieren, wie die Täufer damals, die Glaubenstaufe. Die Täuferbewegung entstand Anfang der 1520er Jahre im Umfeld Zwinglis in Zürich, weist aber auch Einflüsse aus „radikalen“ und spiritualistischen Gruppen (z. B. Thomas Müntzer, Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt) auf.

Im vorliegenden Dokument werden einige für die Täufer zentrale Glaubensüberzeugungen thematisiert:
Die Täufer strebten nach einer strengen Nachfolge Christi, einer konsequenten Besserung des Lebens, neben der die theologische Lehre zurücktrat. Dabei orientierten sie sich am Beispiel der Jünger Jesu und der christlichen Urgemeinde, womit die Ablehnung von Privateigentum und die Gütergemeinschaft verbunden waren. Im Zusammenhang dazu stand ein Rückzug aus der ihrer Ansicht nach sündenverfallenen Welt und eine Abgrenzung von den sich etablierenden reformatorischen Kirchen sowie ein Zusammenschluss zu eigenen, abgesonderten Gemeinden. Sie nahmen Anstoß an der – insbesondere seit dem Bauernkrieg von 1525 – obrigkeitlich durchgeführten Reformation („landesherrliches Kirchenregiment“). Die Täufer verweigerten die Übernahme von obrigkeitlichen Ämtern sowie die Eidesleistung und den Kriegsdienst. Sie wollten keine Gemeinschaft mit den „Ungläubigen“ haben. Damit hängt auch die Ablehnung der Kindertaufe und der Ehe zwischen Täufern und Nicht-Täufern zusammen.
In der Lehre Luthers – ähnlich auch in der der Altgläubigen – ist der Mensch seit dem Sündenfall Adams und Evas (vgl. 1. Mose (Genesis) 3) von Geburt an Sünder („Erbsünde“) und dadurch von Gott getrennt. Ohne etwas dagegen tun zu können, neigt er zum Bösen und übertritt die Gebote Gottes. Die Täufer bestritten die Notwendigkeit der Säuglingstaufe, weil die Erbsünde dem Menschen nicht von Geburt an anhafte. Erst wenn der Mensch sich bewusst und bei klarem Verstand dazu entscheide, die Gebote Gottes zu missachten, sei Sünde in ihm. Deshalb betrachteten sie die Taufe nicht als nötig für das Seelenheil der Kinder. Unter Berufung auf die Evangelien und die Apostelgeschichte praktizierten sie die Erwachsenentaufe. Da sie damit (nach der ersten Taufe als Kind, die die Täufer aber nicht anerkannten) zum zweiten Mal getauft wurden, nannten ihre Gegner sie polemisch „Wiedertäufer“. Die Taufe wurde als persönliches Bekenntnis des Glaubens verstanden, das bewusst erfolgen sollte. Sie sahen den Glauben als Voraussetzung für die Taufe an, die die Zugehörigkeit zur wahren christlichen Gemeinde begründete.

Die Täufer wurden sowohl von altgläubigen als auch protestantischen Obrigkeiten verfolgt. Insbesondere nach dem Bauernkrieg von 1525 drohte ihnen als „Ketzern“ die Todesstrafe. Aufgrund ihrer Absonderung von der Welt, der Bildung von eigenen Gemeinden mit Laienpredigern, der Ablehnung der weltlichen Obrigkeit und der Berufung auf Thomas Müntzer, eine zentrale Gestalt des Bauernkriegs in Thüringen, warf man ihnen Aufruhr vor. Man brachte sie auch mit dem „Täuferreich von Münster“ (1534/35) in Verbindung.

Im Dezember 1535 begann ein Verhör von in Jena inhaftierten Täufern durch Philipp Melanchthon und andere Theologen. Melanchthon betont in den vorliegenden Aufzeichnungen die aufgewandte Zeit und Sorgfalt sowie die gute Absicht bei der Befragung über die Lehre der verhafteten Täufer. Man habe sie nur in den einfachen Lehrartikeln verhört. Auch unterscheidet Melanchthon klar zwischen Lorenz Petzsch, der auf Grund seiner geringen Kenntnisse in der christlichen Lehre leicht verführt werden konnte und sich willig unterweisen lassen wollte, und den anderen drei Täufern (Heinz Kraut, Jobst Möller, Hans Peißker). Letztere ließen sich trotz wiederholter Ermahnungen und Bekehrungsversuche nicht belehren, sondern beharrten unnachgiebig auf ihrer Lehre. Diese drei Täufer wurden im Januar 1536 in Jena „durch das Schwert“ hingerichtet. Lorenz Petzsch, der wegen seiner Neigung zum Widerruf in eine eigene Zelle gebracht wurde, konnte entfliehen.
Übersetzung:
(Translated by Claudia Jones)
Philipp Melanchthon’s records of the interrogation of the Anabaptists captured in Jena, [Jena, December 6/7, 1535].

The Anabaptists were an important movement within the Reformation, surviving to this day, for example, in the form of the Mennonites and the Amish. Some Free Churches also continue to practice the believer’s baptism, as the Anabaptists did back then. The Anabaptist movement emerged in the early 1520s among Zwingli’s followers in Zurich, but was also influenced by a number of “radical” and spiritualist groups (e.g., Thomas Müntzer, Andreas Bodenstein, also known as Karlstadt).

The present document addresses a number of the central beliefs of the Anabaptists:
The Anabaptists aspired to follow Christ strictly and to consistently improve life, with the theological doctrine taking a back seat. In so doing, they based their actions on the example of the disciples of Christ and the early Christian community, which resulted in the rejection of private property and the belief in joint property. This was also associated with a retreat from the – in their opinion – sinful world and a differentiation from the emerging Reformation churches as well as the formation of their own, separate communities. They took offense at the Reformation being implemented by the authorities (“sovereign church rule”) – especially since the Peasants’ War of 1525. The Anabaptists refused to accept civil offices, take oaths, or perform military service. They did not want to engage in fellowship with “nonbelievers,” which is also connected with their rejection of infant baptism and marriages between Anabaptists and non-Anabaptists.
In Luther’s teachings – and similarly in those of the Roman Catholic Church – humans are believed to be born as sinners (“original sin”) as a result of the Fall of Adam and Eve (cf. Moses 1 (Genesis) 3) and thereby separated from God. Without being able to do anything about it, humans tend naturally toward evil and therefore break God’s commandments. The Anabaptists rejected the necessity of infant baptism, as they believed that humans were not tainted by original sin from birth. Humans were corrupted by sin only when they decided consciously and with a sound mind, to disobey the commandments of God. Therefore, the Anabaptists did not consider baptism necessary for the salvation of children. They practiced adult baptism on the basis of the gospels and the Acts of the Apostles. Since this meant that they were baptized a second time (after their initial baptism in infancy, which the Anabaptists did not recognize, however), their opponents polemically referred to them as “Anabaptists.” Baptism was seen as a personal commitment that should be made consciously. They perceived faith as a prerequisite for baptism, which established a person’s membership of the true Christian community.

The Anabaptists were persecuted by both Roman Catholic and Protestant authorities. They faced the death penalty as “heretics,” especially after the Peasants’ War of 1525. Due to their separation from the world, the formation of their own communities with lay preachers, their rejection of the secular authorities, and their connection with Thomas Müntzer, a central figure of the Peasants’ War in Thuringia, they were accused of revolting. They were also associated with the “Anabaptist kingdom of Münster” (1534/35).

In December 1535, Philipp Melanchthon and several other theologians began an interrogation of a group of Anabaptists incarcerated in Jena. In the present records, Melanchthon emphasizes the time spent questioning the detainees about their teachings and the good intentions behind the interrogations. It is stated that they were interrogated only with regard to the simple articles of teaching. Melanchthon also makes a clear distinction between Hilarius Petzsch, who was easy to deceive with regard to Christian doctrine due to his lack of knowledge and was willing to be taught, and the other three Anabaptists (Heintz Craut, Jost Muller, Hanß Prisker). The latter would not listen to reason despite repeated admonitions and attempts at conversion, but instead insisted doggedly on the truth of their doctrine. These three Anabaptists were executed in January 1536 in Jena “by the sword.” Hilarius Petzsch, who was taken to a cell of his own because of his inclination to rescind, was able to escape.
Literatur:
Ulrike Kaiser, Der Fall „Hans Schleier“. Vom Leuchtenburger Gefängnisturm und mitteldeutscher Religionsgeschichte, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 63, 2009, S. 307-319.
James M. Stayer, Art. „Täufer/Täuferische Gemeinschaften, I. Täufer“, in: Theologische Realenzyklopädie. Bd. 32. Berlin 2001, S. 597-619.
Paul Wappler, Die Täuferbewegung in Thüringen von 1526 – 1584. (Beiträge zur neueren Geschichte Thüringens, Bd. 2.) Jena 1913, S. 136-155, 394-423.
Nachweis früherer Editionen:
Philippi Melanthonis opera quae supersunt omnia. Edidit Carolus Gottlieb Bretschneider. Vol. 2. (Corpus Reformatorum, Vol. 2.) Halis Saxonum 1835, No. 1370, Sp. 1003f.
Manfred Kobuch/Ernst Müller (Red.), Die Reformation in Dokumenten. Aus den Staatsarchiven Dresden und Weimar und aus dem Historischen Staatsarchiv Oranienbaum. Hrsg. v. Hans Eberhardt u. Horst Schlechte. Weimar 1967, Nr. 30, S. 70f. (Teiledition).
Melanchthons Briefwechsel. Bd. T 6: Texte 1395­1683 (1534-1535). Bearb. v. Christine Mundhenk unter Mitwirk. v. Roxane Wartenberg u. Richard Wetzel. Stuttgart-Bad Cannstatt 2005, Nr. 1674, S. 528-530.
Melanchthons Briefwechsel. Bd. 2: Regesten 1110-2335 (1531-1539). Bearb. v. Heinz Scheible. Stuttgart-Bad Cannstatt 1978, Nr. 1674, S. 224 (Regest).
Bemerkung:
Autograph von Philipp Melanchthon (mit Unterschrift); Ausstellungsort und Datierung vermutet