Luther bittet Kurfürst Friedrich III. um Bestätigung der Ordnung des Gemeinen Kastens für die Stadt Leisnig

Signatur:
ThHStAW, EGA, Reg. Ii 114
Seitenangabe:
19r-19v
Datierung:
11. August 1523
Orte:
Leisnig
Leisnig
Wichtige Personen:
Luther, Martin (* 1483 † 1546)
Friedrich <Sachsen, Kurfürst, III.> (* 1463 † 1525)
Bearbeiter:
Scherer, Annette
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Verweis auf andere Quellen:
Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Ii 114, Bl. 3r-16r [Ordnung des Gemeinen Kastens zu Leisnig (Abschrift), 1523].
Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Ii 114, Bl. 16v-17v [Schreiben an Luther, in dem die Leisniger mitteilen, einen Gemeinen Kasten einrichten zu wollen (Abschrift), 25. Januar 1523. Antwort Luthers (Abschrift), 29. Januar 1523].
Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, EGA, Reg. Ii 114, Bl. 18 [Luther wiederholt seine Bitte an Kurfürst Friedrich um Bestätigung der Leisniger Kastenordnung, 19. August 1523].
Emil Sehling (Hrsg.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. 1. Bd.: Sachsen und Thüringen, nebst angrenzenden Gebieten. 1. Hälfte: Die Ordnungen Luthers. Die ernestinischen und albertinischen Gebiete. Leipzig 1902, Nr. 110, S. 605-609, hier S. 608 [Bestätigung des Leisniger Gemeinen Kastens durch die Visitatoren, 1529].
Historische Einordnung:
Die kursächsische Stadt Leisnig hatte sich bereits früh der evangelischen Lehre zugewandt. Bis zum Ende des Jahres 1522 wurden viele altgläubige Bräuche abgeschafft und die Pfarr- und die Predigerstelle auf Betreiben der Gemeinde mit evangelisch gesinnten Geistlichen neu besetzt. Zu Beginn des folgenden Jahres einigte sich die Gemeinde auf eine Ordnung für den Gemeinen Kasten, d. h. auf eine Satzung für eine Gemeindekasse, aus der verschiedene Ausgaben, insbesondere für die Besoldung des geistlichen Personals und für die Unterstützung Bedürftiger, bestritten werden sollten. Denn mit der praktischen Umsetzung der reformatorischen Ideen in den Gemeinden, die zur evangelischen Lehre übertreten wollten, ergab sich auch die Notwendigkeit, die Besoldung des Kirchenpersonals und die Armenfürsorge neu zu regeln. Vorherige Einnahmequellen, wie zum Beispiel Stiftungen oder Gebühren für Leistungen, die in diesen Gemeinden als nicht mehr zu vertretende, altgläubige Bräuche wegfielen, standen den Geistlichen nicht mehr zur Verfügung. Die protestantische Sicht auf Armut, Betteln und Almosen unterschied sich von der altgläubigen. So stellte das Almosengeben für die evangelischen Gläubigen keine Möglichkeit dar, der eigenen Seligkeit durch derartige gute, verdienstvolle Taten näherzukommen; allein der Glaube versprach die Erlangung des Seelenheils. Dies wirkte sich auch auf die Spendenbereitschaft aus.
Will man genauer wissen, was in den Zuständigkeitsbereich der Leisniger Gemeindekasse fiel, lohnt ein Blick in die Leisniger Kastenordnung. Hier werden die Bezahlung des Pfarrers, des Predigers und weiterer Hilfsgeistlicher sowie die eines Schulmeisters und einer Schulmeisterin, die die Mädchen unterrichten sollte, aus der Gemeindekasse angeordnet. Das Betteln wird fortan untersagt, den unverschuldet in Armut geratenen Personen jedoch eine Unterstützung aus dem Gemeinen Kasten zugesagt. An die Stelle des Bettelwesens sollte also eine geordnete Armenfürsorge treten. Des Weiteren sollte die Instandhaltung der Gebäude, die mit den durch den Gemeinen Kasten geförderten Zwecken verbunden waren, also beispielsweise die des Kirchengebäudes, der Schulgebäude und der Hospitäler, durch den Gemeinen Kasten finanziert werden. Darüber hinaus finden sich in der Kastenordnung auch Regelungen zur Vergabe von Darlehen, zur Unterstützung Fremder und zur Anlage eines Lebensmittelvorrats für die Gemeinde.
Auch über die Finanzierung der Gemeindekasse selbst und über die Verwaltung derselben gibt die Leisniger Kastenordnung Auskunft: Für die Verwaltung des Vermögens des Gemeinen Kastens sollten zehn durch die Gemeinde gewählte Personen zuständig sein. Diese werden in der Kastenordnung als Vormünder oder Vorsteher des Gemeinen Kastens bezeichnet. Diese Kastenvorsteher verzeichneten und regelten die Einnahmen und Ausgaben der Gemeindekasse. An Geldern und Gütern, die dem Gemeinen Kasten zukommen sollen, werden in der Kastenordnung unter anderem kirchliche Besitzungen und kirchliche Stiftungen sowie freiwillige Spenden und Vermächtnisse angeführt.
Über die Finanzierung und Verwaltung des Gemeinen Kastens kam es in Leisnig jedoch bereits kurz nach dem Beschluss der Kastenordnung zu Streit, da der Stadtrat seine Verfügungsgewalt über die kirchlichen Stiftungen und testamentarischen Verfügungen, die dem Gemeinen Kasten zustehen sollten, nicht an die Kastenvorsteher abtreten wollte. Die Sicherung der Besoldung des Kirchen- und Schulpersonals war somit gefährdet. Kurfürstliche Schlichtungsversuche brachten keine wirkliche Lösung des Konflikts. Im August des Jahres 1523 schaltete sich daher der Reformator Martin Luther ein, der auf Bitten der Gemeinde bereits im September des Vorjahres in beratender Funktion in Leisnig gewesen war und den die Leisniger Gemeinde am 25. Januar 1523 über die Einrichtung des Gemeinen Kastens informiert hatte. Selbst nach Leisnig gereist, wandte er sich in einem Schreiben vom 11. August an den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen und bat ihn um die Bestätigung des strittigen Punktes der Kastenordnung. Am 19. August wiederholte er seine Bitte. Der Kurfürst blieb die erbetene Bestätigung jedoch schuldig.
Erst im Jahr 1529 wurde der Gemeine Kasten durch eine Verordnung der Visitatoren Justus Jonas, Wolfgang Fuß, Sebastian von Kötteritz, Asmus von Haubitz und Benedikt Pauli bestätigt. Diese hatten im Rahmen einer vom kursächsischen Kurfürsten angeordneten Visitation – bei solchen Visitationen überprüfte eine Kommission aus Juristen und Theologen die kirchlichen Verhältnisse in den einzelnen Gemeinden direkt vor Ort – auch Leisnig besucht und Anordnungen zu verschiedenen kirchlichen und schulischen Belangen getroffen.
Die Leisniger Kastenordnung war aber bereits zuvor – wahrscheinlich Mitte des Jahres 1523 – auf Betreiben Martin Luthers im Druck erschienen. Auf diese Weise weiter verbreitet und einem größeren Kreis bekannt gemacht, sollte sie, laut Luther, anderen Gemeinden als ein „gemeines Exempel“ (ein allgemeines Beispiel) dienen können. Tatsächlich orientierten sich in der Folgezeit andere Gemeinden an der Kastenordnung der Stadt Leisnig, die neben Wittenberg bei der Einführung eines Gemeinen Kastens eine Vorreiterrolle einnahm.
Übersetzung:
Martin Luther asks Elector Frederick III. to confirm the Ordinance of a “Common Chest” for the city of Leisnig, August 11, 1523

The Electoral Saxonian city of Leisnig had turned to evangelical doctrine early on. By the end of 1522, many Roman Catholic customs had been abolished and the pastorates and preacher positions restaffed with evangelically-minded clergy at the insistence of the parishioners. At the beginning of the following year, the parish agreed on an arrangement for the “common chest” (“Gemeiner Kasten”), i.e. on a statute for a municipal treasury, which was to be used to cover various expenses, especially the salaries of clerical staff and support for the needy. The practical implementation of the ideas of the Reformation in the parishes that wanted to convert to the evangelical doctrine resulted in the need to re-examine the remuneration of the clergy and the care of the poor. Previous sources of revenue, such as foundations or fees for services that had ceased to exist in these parishes because they were now considered unsuitable, Roman Catholic customs, were no longer available to the clergy. The Protestant view of poverty, begging, and almsgiving differed from the Roman Catholic one. For evangelical believers, almsgiving did not present an opportunity to get closer to one's own salvation by such good, meritorious deeds; faith alone was the key to attaining salvation. This also had an impact on the willingness of people to donate.
A look at the Leisnig Ordinance of a Common Chest is worthwhile if one wants more detailed information about the purposes the Leisnig parish treasury was intended to serve. The Ordinance mandated the remuneration of the pastor, the preacher, and other curates as well as a schoolmaster and a schoolmistress, who was to teach the girls, from the municipal treasury funds. Begging was henceforth forbidden, but people who had fallen into poverty through no fault of their own were promised support from the “common chest.” Thus, begging was supposed to be replaced by systematic care for the poor. Furthermore, the maintenance of the buildings associated with the causes supported by funds from the “common chest,” for example those of the church, the schools, and hospitals, was to be financed from the “common chest.” In addition, the Ordinance of a Common Chest also included regulations on the granting of loans, the support of strangers, and the building up of a stock of food for the parish.
The Leisnig Ordinance of a Common Chest also provides information about the financing of the municipal treasury itself and the management thereof: Ten persons chosen by the parish were to be responsible for managing the funds of the “common chest.” The Ordinance of a Common Chest refers to these as wardens or managers of the "common chest." These chest managers recorded and controlled the income and expenditure of the municipal funds. According to the Ordinance of a Common Chest, funds and goods that were to be provided to the “common chest” included ecclesiastical possessions and foundations as well as voluntary donations and bequests.
However, disputes about the financing and management of the “common chest” arose in Leisnig soon after the adoption of the Ordinance of a Common Chest, since the city council did not want to cede its authority over the church foundations and testamentary bequests for the benefit of the “common chest” to the chest wardens. This in turn meant that the remuneration of church and school personnel was in question. Electoral attempts at mediation failed to bring about any real solution to the conflict. Therefore, in August 1523, the reformer Martin Luther, who had visited Leisnig in the September of the previous year at the request of the parish in an advisory capacity and who received word of the establishment of the “common chest” from the Leisnig parish on January 25, 1523, got involved. After his journey to Leisnig, he wrote a letter to the Saxon Elector Frederick the Wise on August 11 and asked him to confirm the validity of the controversial point of the Ordinance of a Common Chest. On August 19, he repeated his request. However, the Elector never provided the requested confirmation.
The “common chest” was not confirmed until the year 1529 by a decree of the visitors Justus Jonas, Wolfgang Fuß, Sebastian von Kötteritz, Asmus von Haubitz, and Benedikt Pauli. As part of a visitation ordered by the Saxon Elector – during such visitations, a commission of jurists examined the church conditions directly in the various parishes – they had also visited Leisnig and prescribed measures regarding various church and school matters.
However, the Leisnig Ordinance of a Common Chest had printed prior to that – probably mid-1523 – at Martin Luther’s insistence. More widely distributed and made known to a broader circle in this way, Luther intended it to serve as a “common example” (a general example) for other communities. And sure enough, in the period that followed, other parishes seeking guidance looked to the Ordinance of a Common Chest of the city of Leisnig, which, alongside Wittenberg, played a leading role in introducing a “common chest.”
Literatur:
Michael Beyer, Die Neuordnung des Kirchenguts, in: Helmar Junghans (Hrsg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen. Festgabe zum 450jährigen Bestehen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Berlin 1989, S. 91-112, hier S. 97-99.
Heinrich Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens. Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag. Aus dem Nachlass herausgegeben von Karin Bornkamm. Göttingen 1979, S. 115-119.
D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. 12. Bd. Weimar 1891, S. 1-9.
Nachweis früherer Editionen:
Anacker, Ueber die Kastenordnung der Gemeinde zu Leisnig vom Jahre 1523, in Mittheilungen des Geschichts- und Alterthums-Vereins zu Leisnig 6, 1881, S. 49-65, hier S. 63-64.
D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel. 3. Bd. 1523-1525. Weimar 1933, Nr. 643, S. 124-126.
Martin Luther, Briefe, Sendschreiben und Bedenken vollständig aus den verschiedenen Ausgaben seiner Werke und Briefe, aus andern Büchern und noch unbenutzten Handschriften gesammelt, kritisch und historisch bearbeitet von Wilhelm Martin Leberecht de Wette. 2. Teil. Luthers Briefe von seinem Aufenthalt auf Wartburg bis zu seiner Verheurathung. Berlin 1826, Nr. 518, S. 379-381.
Bemerkung:
Englische Übersetzung: Claudia Jones.