Liste der Teilnehmer des Aufruhrs in Halle am 28. Dezember 1523

Signatur:
LASA, A 2, Nr. 794
Seitenangabe:
11r-12r
Datierung:
vor 14. Februar 1524
Orte:
Halle (Saale)
Halle (Saale)
Leipzig
Bearbeiter:
Rothe, Vicky
Überlieferungsform:
Reinschrift
Historische Einordnung:
In der Nacht zum 28. Dezember 1523 kam es zu tumultartigen Szenen auf dem Markt und vor dem Rathaus in Halle. Bewaffnete Aufständige, ausgestattet mit Gewehren und Spießen, z. T. auch in Harnische gekleidet, machten ihrem Ärger lauthals Luft. Sie verbarrikadierten das Rathaus und bedrohten und beleidigten einige Ratsmitglieder, ja kündigten sogar an, den Stadtknecht Veit zu erstechen. Die Radikalisierung drückte sich neben der Gewaltbereitschaft auch in gegen den Rat gerichtete polemische Reden aus. Dabei waren diese Handlungen in Halle nichts Ungewöhnliches. Stadtunruhen und sozialer Ungehorsam waren ein verbreitetes Phänomen in der ständischen Gesellschaft. Gerade zu Beginn des 16. Jahrhunderts kann eine Zunahme solcher Revolten beobachtet werden. Diese wurden oft im Zusammenhang mit der frühen evangelischen Bewegung und deren Katalysatorwirkung für Unruhen gesehen. Die vorliegende Auseinandersetzung war aber nicht durch reformatorische Ideen motiviert, sondern entstand aus einer anderen Ursache heraus: Der Protest richtete sich nämlich gegen die bestehenden sozialen Verhältnisse und hier vorzugsweise gegen die Stadtobrigkeit. So ist aus dem Dokument ersichtlich, dass es Unstimmigkeiten über die zu entrichtenden Steuern gab, die – zumindest lässt dies die Formulierung vermuten – über eine Bekanntmachung von der Verkündungslaube des Rathauses durch die Ratsmitglieder wahrscheinlich nivelliert werden sollten. Auch die Handlungen des Hanns Moller, der mehrmals „ein Zeichen“, also den Erhalt von Bettelmarken für Nahrungsmittelspenden, einforderte, verweisen auf das Grundproblem der Versorgung und der vorherrschenden Armut – zumindest unter den Aufstandsbeteiligten – und zeigen, dass der Protest aus einer sozialen Krise heraus seine Kraft bezog. Auch die personelle Zusammensetzung der Aufständischen stützt diese Annahme: Diese bestanden überwiegend aus der Arbeiterschaft aus dem Tal (Salzwirker, Stegeschäufler), dem sogenannten Talvolk, Handwerkern (Böttcher, Tuchmacher, Kürschner) und kleinen Händlern. Die Trägerschicht der Revolte ist damit bei den mittleren und vor allem unteren Schichten der Stadtbewohner zu verorten.
Und tatsächlich liegen die Ursachen für die Ausschreitungen in der Situation in Halle, genauer gesagt in der Lage der Salzproduktion, begründet. Im 15. Jahrhundert wuchs die Finanzkraft der Stadt dank einer florierenden Salzgewinnung stark an und trug zum Wohlstand der Stadt bei, doch dieser war nur einzelnen Bürgern (sogenannten „Pfännern“) vorbehalten, die das Siederecht innehatten, Soleanteile besaßen und Siedehütten betrieben. Besonders Krisenzeiten, wie sie vor allem durch mehrere Wochen Kaltlager hervorgerufen wurden, führten seit Beginn des 16. Jahrhunderts zu massiven sozialen Spannungen. Ein Kaltlager bedeutete nämlich, dass wegen Überproduktion, Absatzschwierigkeiten oder wegen eines zu hohen Kostenanteils der für die Produktion benötigten Rohstoffe (z. B. Holz), kein Salz gewonnen wurde. Dies wirkte sich auf das Lohnniveau und die Brotrationen der Arbeiter erheblich aus. Im Jahr 1523 konnte nur in 28 anstatt der sonst üblichen 40 Wochen Salz gewonnen werden, was große soziale Not zur Folge hatte.
Anders als es der Aktentitel und die Nähe zu Wittenberg nahelegen, lässt der Hallenser Aufstand von 1523 keine explizit reformatorischen Bezüge erkennen. Die frühe Reformation hatte in Halle einen schweren Stand. Denn die Stadt war seit 1503 die Residenz der Erzbischöfe von Magdeburg. Die sich an eine Bischofsstadt angliedernde Hofgesellschaft und Verwaltung, bestehend aus Klerikern, Räten und anderen Amtsträgern, sowie die Errichtung von neuen Institutionen (wie beispielsweise das Neue Stift) verfestigten die bischöfliche Herrschaft und ließen eine Ausbreitung der evangelischen Bewegung nur schwerlich zu. Albrecht von Brandenburg, der seit 1513 Erzbischof von Magdeburg war, blieb ein Verteidiger der alten Kirche. In Halle kann außerdem beobachtet werden, das öffentliche reformatorische Bestrebungen unter dem Pfarrklerus und den Mönchen, aber auch unter der Stadtbevölkerung und dem Stadtrat ausblieben und damit entscheidende Impulse der üblichen Trägerschaft der lutherischen Gedanken fehlten. Gerade letzterer verhielt sich weitestgehend loyal gegenüber seinem Landesherrn, was auf die enge Verflochtenheit der Stadtobrigkeit mit der Hofgesellschaft – so rekrutierte sich die städtische Oberschicht aus diesen – zurückzuführen ist. Halle gehörte damit zu den Zentren des Widerstandes gegen die Reformation.
Aber das revolutionäre Klima der frühen Reformation hat städtische Unruhen, wie diese in Halle, sicher begünstigt. Zu berücksichtigen ist auch der äußere Rahmen der Unruhen, denn das Fest des Kinderbischofs (Kindernacht) galt als eine Ausnahmesituation wie der Karneval, in der unter der Maske der Satire und der rituellen Umkehr der Machtverhältnisse (ein Kind als Bischof) die Hemmschwellen sanken und traditionell obrigkeits- und kirchenkritische Stimmungen zum Ausdruck gebracht werden konnten.
Die tatsächliche Einführung der Reformation erfolgte erst 1541, was mit dem Weggang Kardinal Albrechts aus dem Magdeburger Erzstift zusammenhing. Insgesamt dauerte die Etablierung der Reformation bis in die 1560er Jahre hinein an, sodass man eher von einer langsamen Festigung der lutherischen Lehre in Halle ausgehen muss.
Literatur:
Peter Blickle, Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800. 3. aktualisierte und erweiterte Auflage. München 2012.
Werner Freitag, Residenzstadtreformation? Die Reformation in Halle zwischen kommunalem Selbstbewußtsein und bischöflicher Macht, in: Andreas Tacke (Hrsg.), Kontinuität und Zäsur. Ernst von Wettin und Albrecht von Brandenburg. (Schriftreiche der Stiftung Moritzburg 1) Göttingen 2005, 91-118.
Werner Freitag, Halle 806 bis 1806. Salz, Residenz und Universität. Halle 2006.
Mathias Tullner, Die Reformation in Stadt und Erzstift Magdeburg, in: Sachsen-Anhalt. Beiträge zur Landesgeschichte 6 (1996), 7-40.
Lothar Vogel, Die Salzgrafen. 800 Jahre Salzgrafen in Halle a. d. Saale. Berlin 2010.
Bemerkung:
Orig., 2 Blätter, Papier, 21,6 x 32,9 cm, beidseitig beschrieben