Papst Leo X. droht Martin Luther den Bann an, falls er innerhalb einer Frist von 60 Tagen seine Ansicht nicht widerrufe.

Signatur:
HStAD, 10001, Nr. 10277
Seitenangabe:
r-v
Datierung:
15.6.1520
Orte:
Rom
Rom
Köln
Löwen
Meißen
Merseburg
Brandenburg an der Havel
Wichtige Personen:
Leo <Papst, X.> (* 1475-12-11 † 1521-12-01)
Luther, Martin (* 1483 † 1546)
Friedrich <Sachsen, Kurfürst, III.> (* 1463 † 1525)
Eck, Johannes (* 1486-11-13 † 1543-02-10)
Hus, Jan (* 1369 † 1415-07-06)
Hieronymus <Pragensis> (* 1370 † 1416)
Wyclif, Johannes (* 1326 † 1384-12-31)
Conti, Francisco Domicelli de
Albergato, Vianesio
Amerinus, Angelus Johannis Laicus
Bearbeiter:
Gleiß, Friedhelm
Überlieferungsform:
Ausfertigung
Historische Einordnung:
„Erhebe dich, Herr, […] ein Wildschwein sucht deinen Weinberg zu verwüsten!“, so warnte Papst Leo X. eindringlich vor der Gefährdung der Kirche durch die Lehren Martin Luthers. Das Zitat stammt aus dem vorliegenden Dokument, der Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ gegen Luther vom 15. Juni 1520.

Auf die feierliche Anrufung Christi, der Heiligen und schließlich der gesamten Kirche folgt in der Bulle die Klage über das Aufkommen neuer Irrlehren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, die zum Teil schon längst verdammt worden seien. Anschließend werden 41 Sätze Luthers aus seinen Schriften aufgelistet, die als Irrlehren verurteilt werden. Diese Sätze beinhalten die Themen Ablass, Fegefeuer, Beichte, Sünde, Rechtfertigung sowie Autorität des Papstes und der Konzilien. Auch wenn die Bulle die „Irrlehren“ Luthers isoliert aus ihrem Kontext herausgriff und die neuesten Schriften Luthers dabei noch nicht berücksichtigen konnte, sind in den 41 Sätzen wesentliche Aussagen von Luthers Theologie angesprochen. Die weitere Verbreitung dieser Lehren wird unter Androhung von Strafen verboten. Die Bücher, die die aufgezählten Sätze Luthers enthielten, sollten beschlagnahmt und öffentlich verbrannt werden. Luther erhält außerdem sofortiges Predigtverbot und ihm wird eine Frist von 60 Tagen eingeräumt, um seine Lehren zu widerrufen. Wenn Luther den Widerruf verweigerte, sollten er und seine Anhänger als Ketzer verurteilt und exkommuniziert (aus der Kirche ausgeschlossen) werden. Die Obrigkeiten werden schließlich aufgefordert, Luther in diesem Fall gefangenzunehmen und nach Rom auszuliefern. Jede Beherbergung und Unterstützung Luthers wird streng verboten.

Für die Veröffentlichung und Durchsetzung der Bannandrohungsbulle war der Papst auf die Unterstützung durch den Kaiser, die Fürsten und die Städte des Reichs angewiesen. Er fand aber nicht überall Rückhalt. Während die Bulle etwa in den Niederlanden mit kaiserlicher Unterstützung leicht durchgeführt werden konnte und Verbrennungen von Luthers Büchern in Köln, Löwen und Mainz stattfanden, gab es unter anderem in Kursachsen große Schwierigkeiten. So wurde der päpstliche Botschafter Johannes Eck, der maßgeblich an der Erstellung der Bulle beteiligt war, enorm angefeindet und wagte es nicht, die Bulle direkt der Universität Wittenberg zu übergeben.
Statt zu widerrufen, bekräftigte Luther seine verurteilten Lehren. Er kritisierte an der Bulle, dass sie allein aus der behaupteten päpstlichen Machtvollkommenheit seine Lehren verdammte, ohne sich inhaltlich mit diesen auseinanderzusetzen. Luthers Landesherr, Friedrich der Weise, unterstützte Luthers Forderung, rechtmäßiges Gehör zu erhalten und mit Schrift- und Sachgründen widerlegt zu werden. Als die 60-tägige Frist zum Widerruf am 10. Dezember 1520 – gerechnet von der Übermittlung der Bulle nach Wittenberg – auslief, demonstrierte Luther seinen endgültigen Bruch mit Rom: Im Kreis von Dozenten und Studenten der Universität Wittenberg wurde vor dem Elstertor neben dem kirchlichen Recht (Corpus Iuris Canonici) und Schriften von Luthers Gegnern auch die Bannandrohungsbulle verbrannt.
Am 3. Januar 1521 wurde Luther mit der Bannbulle „Decet Romanum Pontificem“ endgültig aus der Kirche ausgeschlossen.
Literatur:
Martin Brecht, Martin Luther. Bd. 1: Sein Weg zur Reformation 1483-1521. 3., durchges. Aufl. Stuttgart 1990, S. 371-412.
Theodor Dieter, Art. „Bannandrohungsbulle/Bannbulle“, in: Das Luther-Lexikon. Hrsg. v. Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff. Unter Mitarbeit von Ingo Klitzsch. Regensburg 2014, S. 99f.
Karl Kaulfuß-Diesch (Hrsg.), Das Buch der Reformation. Geschrieben von Mitlebenden. Leipzig 1917, S. 176-182 (Teilübersetzung).
Reinhard Schwarz, Luther. 3., durchges. u. korr. Aufl. Göttingen 2004, S. 69-79, 113-121.
Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften. Hrsg. v. Joh[ann] Georg Walch. Bd. 15: Reformations-Schriften. 1. Abtheilung: Zur Reformationshistorie gehörige Documente. A. Wider die Papisten. Aus den Jahren 1517 bis 1524. Aufs Neue hrsg. im Auftrag des Ministeriums der deutschen ev.-luth. Synode von Missouri, Ohio und anderen Staaten. St. Louis, Mo. 1899, Sp. 1427-1456 (Übersetzung, mit Glossen von Ulrich von Hutten).

Teilübersetzungen im Internet:
www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/exsurge_domine_dt.html
www.efg-hohenstaufenstr.de/downloads/texte/exsurge_domine_41_saetze.html
www.papalencyclicals.net/Leo10/l10exdom.htm (Übersetzung ins Englische)
Nachweis früherer Editionen:
Peter Fabisch/Erwin Iserloh (Hrsg.), Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521). 2. Teil. Vom Augsburger Reichstag 1518 bis zum Wormser Edikt 1521. (Corpus Catholicorum. Bd. 42.) Münster 1991, S. 364-411 (andere Textgrundlage: Druck, Rom; mit Übersetzung von Georg Spalatin).
Manfred Kobuch/Ernst Müller (Red.), Die Reformation in Dokumenten. Aus den Staatsarchiven Dresden und Weimar und aus dem Historischen Staatsarchiv Oranienbaum. Hrsg. v. Hans Eberhardt u. Horst Schlechte. Weimar 1967, Nr. 6, S. 20-23, 85-87 (Teiledition, mit Übersetzung).
Carl Mirbt/Kurt Aland (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Tridentinum. 6., völlig neu bearb. Aufl. Tübingen 1967, Nr. 789, S. 504-513 (andere Textgrundlage).
Bemerkung:
Bleisiegel Leos X.; statt der sonst verwendeten Siegelschnur aus Hanf wird eine Schnur aus roten und gelben Seidenfäden verwendet; die bei vergleichbaren Bullen üblichen Unterschriften des Papstes und der Kardinäle fehlen hier weitere Pergamentoriginale sind erhalten im Hauptstaatsarchiv Stuttgart und im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv; ein Druck der Bulle für die Universität Wittenberg mit einem Schreiben von Johannes Eck findet sich im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar (Signatur: EGA, Reg. N 13)